GI Blues: Was stimmt nicht mit der GI-Diät?
Im März 2005 las ich die neueste Ausgabe einer beliebten Frauenzeitschrift, wie man das schon mal macht, wenn man sich im Urlaub langweilt. Sie widmete der GI-Diät volle 10 Seiten und kündigte auf dem Titel die Diät als "die gesündeste, kohlenhydratarme Diät überhaupt" an. Allerdings hatten die Autoren hatten das Prinzip vollkommen missverstanden!
Zunächst erklärten sie ganz richtig, dass der GI, der glykämische Index ein Maßstab dafür ist, wie stark Kohlenhydrate den Blutglukosespiegel ansteigen lassen. Dann jedoch folgten Listen mit Nahrungsmitteln mit hohem, mittleren und niedrigem GI. Hier haben nun fetthaltige Nahrungsmittel plötzlich einen hohen GI obwohl er in Wirklichkeit null beträgt. Fetthaltige Nahrungsmittel weisen den geringsten GI von allen auf! Omega-3-Eier hatten einen niedrigen GI, Eier einen mittleren GI, obwohl weder die einen noch die anderen Eier für den GI ins Gewicht fallen; fettarmer Hüttenkäse galt als Lebensmittel mit niedrigem GI, fettreduzierter Käse hatte einen mittleren GI und vollfetter Käse einen hohen GI, obwohl Käse überhupt keinen GI hat. Fett, Fleisch, Fisch, Käse und Eier beeinflussen den Blutglukosespiegel nur in geringem Maße und haben deshalb keinen GI bzw. einen GI von 0, je nach dem wie man es betrachten will. Und dann kamen zum Schluss noch die Diätlimonaden — die hatten je nach Koffeingehalt einen hohen oder niedrigen GI obwohl Koffein in den im Juli 2002 im American Journal of Clinical Nutrition, Seite 5-56 veröffentlichten Tabellen überhaupt nicht auftaucht.
Für mich sieht nach einem klassischen Fall von Ignoranz aus, bei versucht wird, mit der letzten Diätmasche Geld zu machen.
Was ist der GI denn eigentlich?
Der glykämische Index (GI) diente ursprünglich als Hilfsmittel für Diabetiker. Es ist ein Maßstab dafür, wie schnell Kohlenhydrate den Blutglukosespiegel und damit den Insulinspiegel steigen lässt.
Um diesen Index zu erstellen gaben Wissenschaftlern ihren Probanden 50 Gramm Glukose und maßen, wie stark die Blutglukosespiegel der Probanden stiegen. Dies wurde als Referenzwert von 100 festgelegt. Dann bekamen die Probanden andere Nahrungsmittel und es wurde untersucht, wie stark der Blutglukosespiegel im Vergleich zum Referenzwert von 100 anstieg. Wenn nach Verzehr eines Nahrungsmittel der Blutglukosespiegel eines Probanden auf 50% des Referenzwertes anstieg, so bekam es den glykämischen Index von 50 und so weiter. So weit, so gut.
Glukose ist allerdings für manche Leute ein bißchen zu süß. Die Testpersonen tranken nicht gerne 50 Gramm dieses Zeugs und so nahm man später statt Glukose Weißbrot. Weißbrot hat im Gegensatz zu Glukose einen GI von 70. Den Probanden war das weitaus lieber, aber damit entstand unglücklicherweise ein weiterer Index, bei dem Weißbrot mit 100 eingestuft wird.
Nun gab es zwei GIs: der eine auf der Grundlage von Glukose = 100, der andere auf der Grundlage von Weißbrot = 100. So fing die Verwirrung an, denn beide Indices wurden allgemein verwendet und in vielen Publikationen wurde nicht angegeben, welcher Index den nun gemeint war. Das gilt auch für die obengenannte Zeitschrift.
Wie nützlich ist der GI?
Nun, nicht besonders..
Ein GI von 70 oder darüber gilt als hoch; 56-69 ist ein mittlerer Wert; 55 und darunter gilt als niedrig. Das sagt uns jedoch nicht viel. Ein Krümel Zucker hat zum Beispiel einen GI von 64 aber auch ein Pfund Zucker hat einen GI von 64. Wie viel Zucker darf man also essen? Das lässt sich so nicht sagen. Eine Pastinake liegt bei 97 deshalb darf man wohl viel mehr Zucker als Pastinaken essen — oder wie? Seltsamerweise wurde in besagtem Artikel die Pastinake richtig als Nahrungsmittel mit hohem GI eingestuft, aber Zucker nicht als Nahrungsmittel mit mittlerem GI? Ich frage mich warum nicht?
Man sagt ihnen, dass Weißbrot einen hohen GI und Vollkornbrot einen niedrigen GI hat. Der Unterschied zwischen beiden beträgt aber lediglich 2: Weißbrot liegt bei 71; Vollkornbrot bei 69. (Übrigens wird das einzige in Großbritannien erhältliche Vollkornbrot, das in den internationalen GI-Daten erscheint von Ryvita Co Ltd hergestellt. Es hat einen GI von 74 und liegt damit höher als Weißbrot). Ein weiteres Problem besteht darin, dass ein Nahrungsmittel von gleichen Hersteller in verschiedenen Betrieben hergestellt werden und einen ganz unterschiedlichen GI haben kann. Nehmen wir zum Beispiel Kellogs All-Bran, das in Australien einen GI von 30 hat — in den USA beträgt er 38 und in Kanada 51. Warum der GI von Kellogs All Bran in Großbritannien noch nicht untersucht wurde, weiß ich leider auch nicht.
Dann gibt es noch Vollkornmehl. Hier schwankt der GI zwischen 52 und 72 in Kanada, in Australien beträgt er 78 und in Kenia 87. Vollkornmehl in Großbritannien wurde noch nicht untersucht, so daß der Wert nicht bekannt ist.
Und es gibt weitere seltsame Anomalien. Zum Beispiel könnte man annehmen, dass Nahrungsmittel, die Zucker enthalten einen höheren GI enthalten als welche ohne Zucker. Bananenkuchen mit Zucker liegt aber bei 47 und ohne Zucker bei 55.
Ausserdem kann, laut einer an der Abteilung für Diätetik des Queen Elizabeth Hospital in Hong Kong durchgeführten Studie auch die Art der Zubereitung oder Verarbeitung von Nahrungsmittel den endgültigen glykämischen Index beeinflussen. (1)
Und für Diabetiker gibt es noch ein weiteres Problem. Der GI von Fruktose (Fruchtzucker) liegt bei 22 und damit erheblich unterhalb von Sucrose (Kristallzucker), die bei 64 liegt. Dennoch ist Fruktose der Gesundheit von Diabetikern weitaus abträglicher als Kristallzucker.(2-4) Zusammenfassend müssen wir feststellen, dass der glykämischen Index ein äußerst schwacher Index ist, der vielfach zu sehr vereinfacht, zu sehr aufgebauscht und zu sehr vermarktet wird. Im klinischen Rahmen mag ihm Bedeutung zukommen aber sein Nutzen für die Allgemeinheit ist äußerst beschränkt.
Für den Körper ist die Gesamtmenge der verzehrten Kohlenhydrate viel wichtiger als der GI eines einzelnen Kohlenhydrates. Einhundert Gramm Kohlenhydrate sind einhundert Gramm Kohlenhydrate, unabhängig von deren GI.
Die vorhin erwähnte Diät wurde übrigens auf dem Titelblatt der Zeitschrift als "kohlenhydratarm" bezeichnet. Das ist im Prinzip richtig, denn alle Nahrungsmittel mit niedrigem GI sind relativ oder sehr kohlenhydratarm. Bei den Rezepten wurde den Lesern dann allerdings geraten, 6 Portionen Kohlenhydrate, 5 Portionen Obst und Gemüse (die natürlich ebenfalls Kohlenhydrate beinhalten), 2-3 Portionen Eiweiß und 3 Portionen fettarme Milchprodukte zu verzehren. Und schon sind wir wieder bei der gleichen alten "gesunden" fettarmen, kohlenhydratreichen Diät, die schon so viele Diätwillige scheitern liess und seit mehr als hundert Jahren unsere Gesundheit ruiniert.
Literatur
1. Chan EM, Cheng WM, Tiu SC, Wong LL. Postprandial glucose response to Chinese foods in patients with type 2 diabetes. J Am Diet Assoc. 2004; 104: 1854-8.
2. Bunn HF, Higgins PJ. Reaction of monosaccharides with proteins: possible evolutionary significance. Science 1981; 213: 222-9.
3. Bierman EL. George Lyman Duff Memorial Lecture. Atherogenesis in diabetes. Arterioscler Thromb 1992; 12: 647-56.
4. Swanson JE, Laine DC, Thomas W, Bantle JP. Metabolic effects of dietary fructose in healthy subjects. Am J Clin Nutr 1992; 55: 851-6
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