William Banting - Verfasser des ersten Buches über kohlenhydratarme Ernährung
Der folgende Artikel wurde 2002 beim "Oxford Symposium on Food and Cooking" mit dem Sophie Coe Prize ausgezeichnet. Das Symposium fand am 7. und 8. September im St. Antony's College in Oxford statt.
Der Preis erinnert an die 1994 verstorbene berühmte Nahrungsmittelhistorikerin Sophie Coe und wird jährlich im Rahmen des "Oxford Symposium" für Artikel oder Essays zum Thema Nahrungsmittelgeschichte, die über neue Forschungen berichten oder neue Einsichten vermitteln, verliehen.
Zusammenfassung
Seit zwanzig Jahren beeinflusst die Propaganda über "gesundes Essen" unsere Ernährung. Gleichzeitig beobachten wir eine drastische Zunahme von Adipositas und damit verbundenen Krankheiten. Als Die Reaktion darauf enstand eine Flut von Diätratgebern, in denen fettreiche, kohlenhydratarme Diäten als "neu" und "revolutionär" angepriesen wurden.
In Wirklichkeit sind sie das nicht. Das erste Buch über kohlenhydratarme Ernährung wurde 1863 von William Banting, der damit seinen Mitmenschen einen Dienst erweisen wollte, geschrieben. Sein Name ist als Verb "to bant" in die englische Sprache eingegangen.
Seit 140 Jahren wird in epidemiologischen Studien und klinischen Studien die Wirksamkeit dieser "Banting-Diät" immer wieder nachgewiesen.
Im Interesse unserer Gesundheit wäre es Zeit, wieder zum "banting" zurückzukehren.
WILLIAM BANTING:
Der Vater der kohlenhydratarmen
Diät
Einleitung
Seit dreißig Jahren hören wir immer wieder, dass wir zur Förderung der Gesundheit und zur Reduzierung des Gewichtes Kohlenhydrate zur Grundlage unserer Ernährung machen sollten: Brot, Nudeln, Obst und Gemüse und wenig Fett. Im Laufe dieser Zeit ergab sich ein derart dramatischer Anstieg an Adipositas und deren Begleitkrankheiten, dass eine Gegenreaktion einsetzte: jetzt heisst es, die Kohlenhydrate zu reduzieren und viel mehr Fett zu verzehren. In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts und auch heute wieder, hat diese neueste "Modediät" die Welt im Sturm erobert.
Alle Welt scheint zu glauben, dass diese Welle kohlenhydratarmer, fettreicher Diäten "neu" oder "revolutionär" sind - zumindest wird es in der Diätbestsellern so dargestellt. Dieser Eindruck könnte nicht falscher sein. Ich ernähre mich auf den Rat meines damaligen Arztes, der mir diese Kostform als beste Methode zur Gewichtsabnahme empfahl. schon seit 1962 kohlenhydratarm. Sie glauben jetzt vielleicht, dass diese "neue" kohlenhydratarme Ernährung eine Pionierleistung von vorausschauenden, erfahrenen Medizinern sei. Auch das stimmt nicht. In Wirklichkeit verhält es sich so, dass die Welt ohne den aus dem England des 19. Jahrhunderts stammenden Tischler William Banting vermutlich nie davon gehört hätte, dass man durch Verzehr des Nahrungsmittels mit dem höchsten Kaloriengehalt, nämlich dem Fett, an Gewicht verlieren kann.
William Banting (1797-1878)
Nur drei Männer sind dadurch zur Unsterblichkeit gelangt, dass ihre Namen als Verben in die englische Sprache eingegangen sind. Der Erste war der Ire Captain Boycott, dessen Name um 1860 in die Sprache einging. Dann kam Louis Pasteur und der Dritte war William Banting, dem dieser Artikel gewidmet ist: er hatte großen Einfluss auf das Leben vieler Menschen - auch auf das meinige.
Natürlich gab es in jeder Bevölkerung schon immer einen gewissen Anteil korpulenten Menschen aber erst im 20. Jahrhundert trat das Phänomen der klinischen Adipositas erstmals auf. Selbst danach blieben die Adipositasraten bis ca. 1980 relativ stabil. Dann jedoch stiegen die Zahlen rapide an. 1992 war schon jeder zehnte Brite übergewichtig und fünf Jahre später hatte sich diese Zahl mehr als verdoppelt. In den USA sieht es noch schlimmer aus: 1991 war schon jeder dritte Erwachsene übergewichtig. Das bedeutet einen Anstieg von 8 Prozent innerhalb von 10 Jahren und zwar trotz der Tatsache, dass die Amerikaner pro Jahr die unglaubliche Summe von 33 Milliarden Dollar für "Abnehmen und Schlankheit" ausgeben.
Und all das geschah unfaßlicherweise zu einer Zeit, in der immer mehr Wissen, Bewusstsein und Informationen über Adipositas, Ernährung und Sport verfügbar wurde. Es geschah, obwohl in den letzten 10 Jahren die Kalorienaufnahme um 20 Prozent sank und Fitnessstudios sich ausbreiten wie Pilze nach dem Regen. Immer mehr Leute verzehren immer weniger Kalorien und dennoch steigt die Zahl der übergewichtigen Menschen immer weiter an. Gewichtszunahme als Phänomen breitet sich in der industrialisierten Welt geradezu epidemieartig aus.
Das müsste alles nicht sein, denn vor ca. 140 Jahren veränderte ein Mann das Denken über Ernährung und Diät ganz grundlegend.
Alles begann mit einem Büchlein mit Namen Letter on Corpulence Addressed to the Public (Brief an die Öffentlichkeit zum Thema Korpulenz), der nicht etwa von einem Ernährungsfachmann oder Arzt, sondern dem Bestattungsunternehmer William Banting verfaßt wurde. Es wurde zu einem der berühmtesten jemals verfaßten Bücher über Adipositas. Nach der Erstauflage im Jahre 1863 folgten viele weitere Auflagen bis über den Tod des Autors hinaus. Das Buch enthielt revolutionäre Gedanken und hätte eigentlich die Ansichten westlicher Ärzte zu Diäten und Gewichtsverlust für alle Zeiten verändern müssen.
William Banting war in der Gesellschaft des 19, Jahrhunderts ein angesehener Mann. Er war ein ausgezeichneter Schreiner und als Bestattungsunternehmer zählte er die Reichen und Vornehmen zu seiner Kundschaft. Wenn das alles wäre, wüssten wir heute vielleicht noch, dass er den Sarg für den Herzog von Wellington zimmerte, aber mehr wohl kaum.
Korpulenz war in Bantings Familie weder auf väterlicher noch auf mütterlicher Seite ein Problem gewesen. Als William jedoch die Dreißig überschritten hatte, fing er an, Gewicht zuzulegen. Er konsultierte einen bekannten Chirurgen, mit dem er auch persönlich befreundet war, und bekam den Rat sich "vor Beginn des normalen Tagwerkes sich körperlich zu betätigen". Banting besaß ein schweres Boot, wohnte in der Nähe der Themse und begann jeden Tag zwei Stunden zu rudern. Als einziges Ergebnis dieser Mühen entwickelte er einen enormen Appetit. Er nahme weiter zu und man riet ihm, die sportliche Betätigung wieder einzustellen. Soviel zum Thema Sport!
Als nächstes riet man ihm, seine Körperfülle durch mäßiges und leichtes Essen zu reduzieren. Was das bezwecken sollte, sagte man ihm nicht. Er stellte fest, dass sein Gewicht zwar nicht sank, sein körperlicher Zustand sich jedoch verschlechterte: er fühlte sich schwach, bekam mehrere scheußliche Furunkel und zwei schwere Karbunkel. Er kam ins Krankenhaus, wurde operiert, genas - und legte weiter an Gewicht zu.
Banting war innerhalb von 20 Jahren ebensoviele Male im Krankenhaus, um an Gewicht zu verlieren. Er versuchte es mit Schwimmen, Laufen, Reiten und Seeluft. Er trank literweise "physic and liquor potassae", absolvierte Badekuren in Leamington, Cheltenham und Harrogate, machte niederkalorische Hungerdiäten, ging ein Jahr lang bis zu dreimal pro Woche ins türkische Bad, nahm insgesamt nur 6 Pfund ab und hatte immer weniger Energie.
Einer der seiner Ansicht nach "besten Ärzte des Landes" versicherte ihm, dass die Gewichtszunahme etwas ganz normales sei; dass er selbst auch seit Ende der Jugendzeit pro Jahr ein Pfunde zunehme und dass ihn Bantings Zustand nicht überrasche - er riet ihm lediglich zu "mehr Bewegung, Dampfbädern und Medikamenten".
Banting versuchte es mit jeder Art Schlankheitsdiät, die Medizin damals anzubieten hatte - ohne jeden Erfolg. Irgendwann verlor er die Hoffnung gab auf obwohl er immer noch sehr korpulent war.
1862 war William Banting 65 Jahre alt und wog bei einer Größe von 5 ft 5 über 200 Pfund. Banting selber berichtet, dass er trotz seiner geringen Größe und seinem Gewicht nicht in der Lage war, elementare Dinge zu erledigen.
"I konnte mich nicht mehr bücken, um meine Schuhe zu binden und auch die alltäglichen menschlichen Verrichtungen konnte ich nur mit viel Mühe und Pein vollziehen. Nur korpulente Menschen können wissen, wie das ist. Ich musste rückwärts und langsam die Treppe hinabsteigen, um meine Knie- und Fußgelenke zu schonen und jede kleine Anstrengung brachte mich zum Keuchen und Japsen - besondern Treppensteigen war sehr beschwerlich."
Ausserdem litt er an einem Nabelbruch und hatte weitere körperliche Beschwerden.
Und als ob das nicht genug wäre, stellte er fest, dass seine Sehkraft nachliess und er zunehmend taub wurde.
Wegen seiner Hörprobleme konsultierte er einen Ohrenspezialisten, der seinen Fall auf die leichte Schulter nahm, ihm die Ohren ausputzte, dabei das Aussenohr verletzte, ohne eine Besserung zu erzielen oder sich um seine anderen Beschwerden zu kümmern. Banting war nicht zufrieden - es ging ihm schlechter als vor der Behandlung durch den Spezialisten.
Schließlich konsultierte Banting im August 1862 einen Arzt, der Mitglied des Royal College of Surgeons war. Es war der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. William Harvey und die Begegnung darf als historisch bezeichnet werden.
Dr. Harvey hatte gerade auf einem Symposium in Paris den bekannten Physiologien Dr. Claude Bernard über eine neue Theorie zur Rolle der Leber bei der Diabetes gehört hatte. Bernard war der Überzeugung, dass die Leber nicht nur Galle sondern aus im Blut enthaltenen Elementen eine zuckerähnliche Substanz produzierte. Harvey beschäftigte sich daraufhin mti dem Einfluss der verschiedenen Nahrungsmittel auf den Diabetes und begann zu erforschen, welchen Einfluss Fett, Zucker und Stärke auf den Körper hatten.
Als Harvey Banting kennenlernte interessierte ihn die Adipositas genauso wie die Taubheit, da er erkannte, dass eins die Ursache des anderen war. Harvey setzte Banting auf Diät. Bis Weihnachten war Bantings Gewicht auf 184 Pfund zurückgegangen und im folgenden August auf 156 Pfund gesunken.
Nachstehend die Mahlzeiten, die Banting vor Beginn der Diät zu sich zu nehmen pflegte:
- Frühstück: Brot und Milch, oder ein halber Liter Tee mit viel Milch und Zucker, Toast mit Butter (Frühstückcerealien gab es damals noch nicht, aber die Zusammensetzung ähnelt dem modernen Getreidefrühstück);
- Mittagessen: Fleisch, Bier, Brot und Gebäck;
- Nachmittags: ähnlich wie Frühstück;
- Supper: normalerweise Obstkuchen, Brot und Milch.
Banting gab an, dass er sich recht unwohl fühle und schlecht schlafe.
Harvey riet ihm Brot, Butter, Milch, Zucker, Bier und Kartoffeln zu streichen. Er erklärte Banting, dass diese Nahrungsmittel Stärke und saccharinhaltige Stoffe enthielten, die zu Fett umgebaut werden und deshalb gemieden werden müssten. "Saccharine" wurde damals als Wort für Zucker verwendet.
Als Banting hörte, was er alles nicht essen durfte, war sein erster Gedanke, dass dann nicht viel übrigbliebe. Harvey konnte ihn schnell vom Gegenteil überzeugen und Banting war es zufrieden und erklärte sich zu einem Versuch bereit. Innerhalb weniger Tage zeigte sich der Erfolg: er schlief jede Nacht sechs bis acht Stunden tief und fest.
Zu jeder Mahlzeit durfte Banting auf Harveys Anweisung folgendes essen:
- bis zu g up to six ounces Schinken, Rindfleisch, Hammelfleisch, Wild, Nieren, Fisch oder Geflügel;
- die Früchte von der Obsttorte - jedoch keinen Teig
- jede Art von Gemüse außer Kartoffeln;
- zum Abendessen zwei bis drei Gläser guten Rotweins, Sherry oder Madeira.
- Tee ohne Milch und Zucker.
- Sekt, Portwein und Bier waren verboten, Toast war auf beschränkt one ounce of toast.
Bei dieser Diät nahm Banting von August 1862 bis August 1863 ungefähr ein Pfund pro Woche ab. Er selbst sagte:
"Ich kann Ihnen versichern, dass die Menge bei dieser Diät dem natürlichen Appetit überlassen werden kann; Bekämpfung und Beseitigung der Korpulenz geht nur über Qualität…Ich habe mein Ziel auf einfache und bequeme Art erreicht…und zwar mit einer Diät, die ich zuvor als gefährlich liberal bezeichnet hätte."
Nach 38 Wochen fühlte sich Banting besser als in den 20 Jahren davor.
Am Ende des Jahres war nicht nur sein Gehör wieder hergestellt sondern er fühlte sich viel vitaler, hatte 46 Pfund abgenommen und um die Leibesmitte 12 11/4 Inches verloren. Die neue Diät bereitete ihm keinerlei Beschwerden, konnte wieder mit Leichtigkeit Treppen hinauf- oder hinuntersteigen, sich problemlos und schmerzfrei bewegen, der Nabelbruch hatte sich gebessert und verursachte keine Sorgen mehr, das Sehvermögen war wiederhergestellt, das Gehör hatte sich verbessert, die anderen körperlichen Beschwerden hatten sich alle gebessert und konnten ad acta gelegt werden.
Banting war begeistert. Er war bereit gewesen, alle möglichen Torturen auf sich zu nehmen und nun war das gar nicht mehr nötig. Im Gegenteil: die Diät gestattet ihm so viel zu essen und war so einfach einzuhalten, dass Banting sagte:
"Ich kann zuversichtlich sagen, dass ich noch nie so gut gelebt habe wie bei dieser neuen Ernährung, die ich zuvor als geradezu gesundheitsgefährdent betrachtet hätte."
Er sagt auch, dass seine jetzige Ernährung weitaus besser ist als alles, was er zuvor zu Essen bekam:
"viel genussreicher und großzügiger, ganz abgesehen von der Wirkung. Da diese Ernährung auch noch gesünder ist, wäre jeder Vergleich mit anderer Ernährung geradezu lächerlich."
"Körperlich und geistig bin ich in viel besserer Verfassung. Ich habe das Gefühl, den Schlüssel zu Gesundheit und Wohlbefinden selbst in der Hand zu halten."
"Es ist geradezu ein Mirakel und ich danke der allmächtigen Vorsehung, dass sie mich auf so wunderbaren Wegen in die Behandlung eines Mannes geschicht hat, der in kurzer Zeit so große Veränderungen bewerkstelligt hat.."
Aus diesen Kommentaren wird ganz deutlich, das Banting keineswegs die Willenkraft brauchte, die man heute von Diätwilligen erwartet; er fiel ihm leicht, diese Diät zu befolgen.
Sein Wunsch war, dass die Ärzteschaft diese neue Methode zur Bekämpfung kennenlernten und anwendeten, um zu vermeiden, dass so viele Menschen durch Schlaganfall früh sterben mussten und während ihrer Zeit auf Erden nicht so viel körperliche und seelische Gebrechen zu erdulden hatten.
Banting war von seinen Fortschritten so begeistert, dass er Dr. Harvey zusätzlich zu seinem Honorar 50 Pfund zur Verteilung an Krankenhäuser stiftete. Dennoch hatte er immer den Eindruck, seine Dankesschuld dem Arzt gegenüber niemals abtragen zu können.
1868 ging Banting mit einer Subskriptionsanzeige an die Öffentlichkeit und begann Gelder zu sammeln zum Bau und Betrieb einer neuen Institution im Dienste der Menschheit - das Middlesex County Convalescent Hospital.
Das Krankenhaus war gedacht für Angehörige der Arbeiterklasse, die kein Geld hatten, um sich nach einem Krankenhausaufenthalt zu erholen, sondern zur Arbeit zurückkehren mussten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und deshalb Rückfälle erlitten.
In Walton on Thames fand Banting ein passendes Haus, das zwar klein war, aber Banting zweckdienlich erschien. Banting schätzte, dass das Haus mit einem jährlichen Aufwand von 12.000 Pfund betrieben werden konnte.
Banting spendete selbst £500, sein Sohn gab £100 und zwei weitere Familienmitglieder stellten weitere £50 zur Verfügung; zustätzlich sammelte er Spenden von insgesamt £5,000.
Banting nahm für die ersten beiden Ausgaben seines Buches kein Geld - er wollte sich nicht dem Vorwurf aussetzen, das Buch nur aus Gewinnstreben geschrieben zu haben. Er ließ 1000 Exemplare drucken und verschenkte sie.
Auch die zweite Auflage mit 1.500 Exemplaren verschenkte er, obwohl er dafür pro Stück 6 Pence bezahlen musste. Die dritte Auflage erschien ebenfalls 1863 und wurde für 1 Schilling pro Stück verkauft.
Bantings Buch, in dem er die Diät und die erstaunlichen Erfolge beschreibt stand in solch großem Gegensatz zur etablierten Lehrmeinung, dass sich direkt nach dem Erscheinen ein Protestgeheul bei der Ärzteschaft erhob. Die "Banting-Diät" wurde Gegenstand erbitterter Kontroversen, Bantings Veröffentlichungen und Bücher wurden lächerlich gemacht und verzerrt wiedergegeben. Niemand konnte abstreiten, dass die Diät funktionierte, aber da sie von einem medizinischen Laien veröffentlicht worden war und die Ärzteschaft ihre gesellschaftliche Stellung nicht untergraben wollte, sahen sie sich genötigt sie anzugreifen. Die Angriffe auf Bantings Schriften basierten einzig und allein auf deren "unwissenschaftlichem" Charakter.
Auch Dr. Harvey bekam später Schwierigkeiten. Er hatte eine wirksame Behandlung für Fettsucht gefunden, konnte aber keine überzeugende Theorie zur Erklärung vorlegen. Als Arzt war er für seine Kollegen noch angreifbarer und wurde so lächerlich gemacht, dass seine Praxis darunter zu leiden begann.
Dennoch war die Öffentlichkeit beeindruckt. Viele verzweifelte, übergewichtige Leute machten die Diät und stellten fest, dass sie funktionierte. Die Ärzte konnten das irgendwann nicht mehr ignorieren, auch wenn es ihnen nicht gefiel. Offensichtlich war die Banting-Diät erfolgreich, und das musste irgendwie erklärt werden.
Da kam der Stuttgarter Arzt Dr. Felix Niemeyer gerade recht. Er machte die neue Diät akzeptabel weil er den Ansatz völlig neu definierte. Damals glaubte man, dass Kohlenhydrate und Fett zusammen in der Lunge verbrannt werden, um Wärme zu produzieren. Beide Substanzen wurden deshalb als "respiratorische Nahrungsmittel" bezeichnet. Niemeyer las Bantings Schriften und fand eine Lösung für das Problem der Ärzteschaft. Jeder Arzt wusste, dass man von Protein nicht dick wurde sondern nur von den "respiratorischen Nahrungsmitteln" - Fett und Kohlenhydrate. Er interpretierte "Fleisch" als mageres Fleisch ohne Fett und löste mit das Problem mit diesem kleinen Trick. Die Banting-Diät wurde zu einer eiweißreichen Diät, bei der Kohlenhydrate und Fett eingeschränkt waren. Diese veränderte Diät wurde von der Geschichte geadelt und bildet auch heute noch die Grundlage von Schlankheitsdiäten.
Bantings Beschreibung der Diät ist allerdings sehr eindeutig. Nur Butter und Schweinefleisch waren verboten, sonst gibt es keinerlei Anweisung, das Fett vom Fleisch zu entfernen und keine Einschränkungen bezüglich der Zubereitung oder der Quantität. Butter und Schweinefleisch waren nicht erlaubt weil man damals glaubte, dass auch diese Nahrungsmittel Stärke enthielten.
Banting, der bis zu seinem Tod im Alter von 81 Jahren im Jahre 1878in körperlich guter Verfassung lebte und sein Gewicht bis zum Schluss hielt, vertrat bis zum Schluss die Meinung, dass die von Dr. Niemeyer veränderte Diät sehr viel schlechter war als die Diät, die sein Leben so gewaltig verändert hatte.
Nicht lange nach der Veröffentlichung von Bantings "Letter on Corpulence" ging das Verb "to bant" in die Sprache ein. Die Leute, die Diät halten bezeichneten das als "banting". Das Wort war bis weit ins zwanzigste Jahrhundert im Sprachgebrauch und selbst heute hört man es noch ab und zu.
Die Bestätigung der Banting-Diät
Bantings "Letter on Corpulence" fand weite Verbreitung. Um 1890 entwarf die amerikanische Ärztin Helen Densmore mehrere Diäten auf der Grundlage von Bantings Diät. Sie berichtet über Gewichtsabnahmen bei sich selbst und bei ihren Patienten, die im ersten Monat bei 4,5-6,8 kg und dann bei 2,7-3,6kg in den Folgemonaten lag und das bei einer Diät, bei der Brot, Cerealien und stärkehaltige Nahrungsmittel ausgeschlossen waren. Ihr Rat an Abnehmwillige lautete: "Ein Pfund Rindfleisch, Hammelfleisch oder Fisch pro Tag zusammen mit einer nicht zu großen Menge stärkefreiem Gemüse (Tomaten, Kopfsalat, grüne Bohnen, Spinat u.ä) dürfte ausreichend sein für eine adiopöse Person mit sitzender Lebensweise."
Dr. Densmore kritisierte diejenigen ihrer Kollegen, die Bantings Diät verunglimpften scharf: "Genau die Spezialisten, die derzeit an der Reduzierung der Fettsucht gut verdienen und das alles nur William Banting zu verdanken haben, verurteilen die Banting-Methode am lautesten".
Im wirklichen Leben
1906 revolutionierte Dr. Vilhjalmur Stefansson, ein junger Dozent für Anthropologie in Harvard, der später als Entdecker und Anthropologe weltberühmt wurde das Wesen der Polarexpedition als er alleine die Arktis durchquerte und bei den Eskimos lebte. Das war so zwar nicht geplant gewesen, denn Stefansson war der Leffingwell-Mikkelson-Expedition vorausgereist und hatte den Treffpunkt auf der Herschel-Insel verpasst. Er war gezwungen, den arktischen Winter bei den Eskimos zu verbringen und die gleiche Nahrung - ausschließlich Fleisch und Fisch - zu verzehren. Im Gegensatz zur bisher gewohnten Kost enthielt diese Nahrung keinerlei Pflanzen.
Für den jungen Wissenschaftler war dies eine einmalige Gelegenheit, die Wirkung die Ernährung der Eskimos auf einen Europäer, der daran nicht gewöhnt war, auszutesten. Ein normales Eskimomahl bestand aus kurz gedünstetem Fisch, zu dem Wasser getrunken wurde. Dies unterschied sich so sehr von der bisher gewohnten Kost, dass Stefansson davon zunächst abgestoßen war. Um den Fisch schmackhafter zu machen, begann er ihn zu braten. Daraufhin fühlte er sich jedoch schwach und schwindlig und zeigte weitere Anzeichen von Mangelernährung. Er startete einen neuen Versuch und gewöhnte sich mit der Zeit so sehr an die einfache Kost der Eskimos, dass er sich genau so wohl fühlte wie sie. Stefansson blieb völlig gesund und nahm nicht an Gewicht zu.
Diese Erfahrung beeindruckte Stefansson nachhaltig. Wie bereits William Banting begann er sich für das Potential einer protein- und fettreichen, kohlenhydratarmen Ernährung zu interessieren. Eine ausgewogene Ernährung mit relativ wenig Fleisch, die durch große Mengen an Kartoffeln, Brot, Reis und anderen stärkehaltigen Nahrungsmittel "ausgeglichen" war schien ihm die Balance in die falsche Richtung zu verschieben. Wie Banting stellte Stefansson die hergebrachten Vorstellungen von Ernährung in Frage. Leider war ihm genauso wenig Erfolg beschieden wie Banting. Er wurde zwar berühmt und in seiner Stellung als Anthropologie unangreifbar, seine Ausführungen zur Ernährung jedoch fanden keinerlei Beachtung.
Einige Jahre nach seiner ersten Aufenthalt bei den Eskimos kehrte Dr. Stefansson zusammen mit seinem Kollegen Dr. Karsten Anderson im Auftrag des American Museum for Natural History in die Arktis zurück. Sie wurden mit allem Notwendigen, einschließlich eines Jahresvorrates als "zivilisierter" Nahrung ausgerüstet. Letztere lehnten sie jedoch ab und beschlossen stattdessen sich wie die Einheimischen zu ernähren. Das einjährige Projekt verlängerte sich schließlich auf vier Jahre. Während der ganzen Zeit ernährten sich die beiden Männer nur von Fleisch und Fisch der Tiere, die sie in der kanadischen Arktis jagen bzw. fangen konnten. Keiner der beiden Männer litt an unerwünschten Nachwirkungen des vierjährigen Experimentes. Für Stefansson war genau wie für Banting klar, dass der Körper bei ausreichender Nahrungszufuhr, eingeschränkter Kohlenhydrataufnahme und Missachtung der Kalorien vollkommen normal funktionierte und gesund, stark und schlank blieb.
Die erste klinische Ernährungsstudie
1928 unterzogen sich Stefansson und Anderson im New Yorker Bellevue Hospital einer kontrollierten Studie zur Erforschung der Wirkungen einer rein auf Fleisch basierenden Ernährung. Das Gremium, das die Studie begleitete, war eines der bestqualifizierten Teams der Medizingeschichte und setzte sich aus den führenden Köpfen aller mit dem Experiment in Beziehung stehenden Fachrichtungen zusammen. Dr. Eugene F. DuBois, Medizinischer Direktor der Russell Sage Foundation (und später Chefarzt am New Yorker Krankenhaus und Professor für Physiologie an der medizinischen Fakultät der Cornell University) leitete das Experiment. In der Studie sollten die folgenden fünf strittigen Fragen beantwortet werden:
1. Führt eine Ernährung ohne pflanzliche Bestandteile zu Skorbut?
2. Führt eine Ernährung, bei der ausschließlich Fleisch verzehrt wird zu anderen Mangelkrankheiten?
3. Tritt Mineralmangel, besonders Kalziummangel auf?
4. Zeigen sich schädliche Wirkungen für Herz, Blutgefäße oder Nieren?
5. Fördert diese Ernährungsweise das Wachstum schädlicher Darmbakterien?
Die Ergebnisse der zwölfmonatigen Studie wurden 1930 im Journal of Biological Chemistry veröffentlicht. Alle oben genannten Fragen konnten mit "Nein" beantwortet werden. Es gab keine Mangelerscheinungen, beide Männer blieben vollständig gesund, der Verdauungstrakt blieb normal, die einzige Veränderung bestand darin, dass der Stuhl kleiner geformt und geruchlos war. Das Vermeiden von stärke- und zuckerhaltigen Kohlenhydraten schien nur vorteilhafte Wirkungen zu haben.
Stefansson fühlte sich bei der Ernährung mit eingeschränkter Kohlenhydratzufuhr erneut besser und gesünder. Nur wenn der Fettverzehr eingeschränkt wurde, ging es ihm schlechter. Während des Versuchs betrug die tägliche Kalorienanzahl zwischen 2000 und 3.100 Kcal, davon stammten achtzig Prozent aus tierischen Fetten und zwanzig Prozent aus Protein.
Aus der Perspektive der Herzgesundheit ist besonders die Beobachtung, dass Stefanssons Blutcholesterinwerte bei einer rein fleischbasierten Ernährung um 1.3 mmol/l fiel und erst wieder am Ende der Studie beim Übergang zur "normalen" Ernährung anstieg.
Die veröffentlichten Ergebnisse hatten in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts allerdings wenig Einfluss auf Schlankheitsdiäten. Eine Ernährungsweise bei der man so viel Fleisch essen konnte, wie man wollte und bei der solch große Fettmengen erlaubt waren musste sehr kalorienreich sein. Viele Kalorien werden jedoch von den Anhänger von Schlankheitsdiäten normalerweise als Weg zur Gewichtszunahme interpretiert.
Die Beweise häufen sich
1933 wurde am Royal Infirmary Krankenhaus in Edinburgh die Wirkung von kalorienreichen und kalorienarmen Diäten mit 800 bis 2.700 Kcal untersucht.
Durchschnittlicher Gewichtsverlust pro Tag:
- kohlenhydratreich/fettarm - 49g [wie moderne Schlankheitsdiäten]
- kohlenhydratreich/proteinarm - 122g
- kohlenhydratarm/proteinreich - 183g
- kohlenhydratarm/fettreich - 205g
Dr. Lyon und Dr. Dunlop kamen zu folgender Feststellung:
"Bei der Tabelle fällt am meisten auf, dass der Gewichtsverlust umgekehrt proportional zum Kohlenhydratgehalt der Nahrung zu sein scheint. Bei geringem Kohlenhydratverzehr ist der Gewichtsverlust höher und umgekehrt."
Anders ausgedrückt heißt das: je weniger Kohlenhydrate verzehrt wurden, desto höher war der Gewichtsverlust.
1955 stellte Dr. Albert Pennington in den USA fest, dass: 'der Gewichtsverlust umgekehrt proportional zur Menge des glykogenen Stoffes in der Ernährung zu sein scheint. Kohlenhydrate ist zu 100% glycogen, Protein zu 58% und Fett zu 10%.' (Anders ausgedrückt: je stärker ein Nahrungsmittel die Insulinproduktion ansteigen lässt, desto geringer ist der Gewichtsverlust - auch hier wieder zeigt sich, dass zum Abnehmen Kohlenhydrate am schlechtesten und Fette am besten abschnitten.)
Pennington fährt fort: 'Empfohlen wird eine kalorienliberale Diät mit sehr geringem Kohlenhydratanteil, hohem Fettanteil und moderatem Proteinanteil. Weder Fett noch Proteine sind jedoch eingeschränkt. '
Penningtons Diät war so erfolgreich, dass die Zeitschrift "Holiday Magazine" darüber berichtete und die Diät als Holiday-Diät bekannt wurde
Professor Alan Kekwick und Dr. Gaston Pawan kamen zu ähnlichen Ergebnissen: Bei einer Studie mit übergewichtigen Patienten im Londoner Middlesex Hospital London waren die Gewichtsverluste:
- am höchsten bei einer fettreichen, kohlenhydratarmen Kost
- am geringsten bei einer kohlenhydratreichen, fettarmen Kost
- Selbst bei 2.600 Kalorien pro Tag noch vorhanden - allerdings nur bei fettreicher Kost.
1959 bestätigte Dr. John Yudkin, Professor für Ernährung und Diätetik am Queen Elizabeth Hospital der Londoner Universität die Erkenntnisse von Kekwick und Pawan. Er zeigte, dass eine Diät mit unbeschränkter Eiweiß- und Fettaufnahme, jedoch geringem oder keinem Kohlenhydratanteil zur Gewichtsabnahme sehr viel wirkungsvoller war als die kalorienkontrollierten, fettarmen Diäten.
In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts stellte der britische Arzt Dr. Richard Mackarness fest, dass die kohlenhydratarme, fettreiche Diät so erfolgreich war, dass er ein Buch darüber schrieb. Das Buch wurde fast 20 Jahre lang verlegt und stellte damit unter den Diätbüchern eine Art Rekord auf. Dr. Mackarness machte mich 1962 mit diesem Konzept bekannt und veränderte damit mein Leben und das Leben meiner Familie drastisch. In den vergangenen vierzig Jahren hatte kein einziges Mitglied meiner Familie mit Übergewicht zu kämpfen - davor waren wir alle davon betroffen gewesen.
Dann jedoch änderten sich die Zeiten, man durfte die Vorteile des Fettes nicht mehr anpreisen und es wurde schwieriger, entsprechende Studien zu veröffentlichen. Ab und zu geschah es jedoch dennoch.
Im Jahr 2000 wurde eine prospektive Studie zur Bewertung der Wirkungen einer kohlenhydratarmen, protein- und fettreichen Diät zur Erzielung eines kurzfristigen Gewichtsverlustes veröffentlicht. Die Forscher am Center for Health Services Research im Primärversorgungskrankenhaus in Durham, North Carolina berichteten über Daten aus einer Sechsmonatsstudie mit 51 übergewichtigen, jedoch sonst gesunden Probanden. Die Probanden erhielten Nahrungsergänzungsmittel und nahmen zweimal im Monat an Gruppentreffen teil, wo sie bezüglich der kohlenhydratarmen, protein- und fettreichen Diät beraten wurden. Nach sechs Monaten hatten die Probanden im Durchschnitt mehr als 10% ihres Gewichtes abgebaut und (besonders interessant) das Gesamtcholesterin war im Durchschnitt um 10.5 mg/dl (0.27 mmol/l) gesunken.
Zwanzig Patienten führten die Diät nach den ersten sechs Monaten fort. Nach einem Jahr betrug der durchschnittliche Gewichtsverlust 10,9 Prozent, das Gesamtcholesterin war um 14.1 mg/dl (0.37 mmol/l) gesunken.
Dr. William S. Yancy gab zu, dass:
'Diese Studie mit übergewichtigen Probanden zeigt, dass eine kohlenhydratarme, protein- und fettreiche Ernährung innerhalb eines Jahres zu signifikanten Gewichtsverlusten führen kann.'
Hätte man 1994 auf zwei weitere Ärzte gehört, so hätten deren Empfehlungen und Beweise vielen Menschen viel Leid, Trauma und Krankheit ersparen können. Prof. Susan Wolley und Dr. David Gardner wiesen damals im British Medical Journal auf die Rolle hin, die Ärzte und Ernährungsberater beim allgemein steigenden Gewicht der Menschen hatten:
'Wir müssen endlich zugeben, warum Übergewichtige ihr angestrebtes und heiß ersehntes Ziel nicht erreichen: es liegt nicht an ihnen, sondern an den Therapien, die ihnen verordnet werden.'
Anders ausgedrückt: Man kann den Übergewichtigen nicht mehr einfach vorwerfen, dass sie an ihrem Problem selbst schuld seien, dass sie zu viel äßen und sich einschränken müssten. Die Empfehlungen und Therapien der Ernährungsberater sind schlichtweg falsch. Wolley und Garner kommen zu folgendem Schluss:
"Es muss Schluss sein mit all den Therapien, die für den Gewichtsverlust so völlig wirkungslos sind. Wenn ein Wissenschaftler glaubt, eine bessere Mausfalle erfunden zu haben, so muss er das mit Hilfe kontrollierter Studien nachweisen, bevor die gesamte Bevölkerung als Futter für die Mausefalle benutzt wird. Nur wenn wir zugeben, dass unsere Therapien wirkungslos sind - und sie konsequenterweise nicht mehr verwenden - können wir vielleicht die hundert Jahre wieder gut machen, in denen Übergewichtige von uns zum Scheitern verurteilt wurden.
Die bessere "Mausefalle" gibt es bereits. William Banting hat sich vor fast einhundertfünfzig Jahren beschrieben.
Übersetzung aus dem Englischen: Ruth Kritzer, Germersheim
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